Die Gruppe der Azoren schließt neun bewohnte Inseln unterschiedlicher Größe ein. Mit Graciosa lernen wir die zweitkleinste Azoren-Insel kennen. Das 61 Quadratkilometer messende, dünnbesiedelte Eiland nimmt die nördlichste Position innerhalb der Zentralgruppe der Azoren ein. Auf Graciosa, der Name steht im Portugiesischen für „anmutig“, leben in vier Gemeinden weniger als 4.400 Menschen.
Graciosa
Graciosa – Wissenswertes
Graciosa ist eine überschaubare Insel. Von Norden nach Süden misst Graciosa etwas mehr als zehn Kilometer. Zwischen dem östlichsten und westlichsten Punkt liegen sieben Kilometer Distanz. Eine ovale Caldeira mit einer einzigartigen Vulkanhöhle ist der Beleg, dass Graciosa vulkanischen Ursprunges ist. Die Insel gilt als trockenste und zugleich flachste Insel der Azoren. Die höchste Erhebung misst 402 Meter. Im Gegensatz zu den Nachbarinseln fehlen auf Graciosa die Berge, an denen sich die Wolken abregnen. Von der Topografie hat Graciosa wenig mit den bergigen Nachbarinseln gemein. Und dennoch ist die Insel außerordentlich sehenswert. Zu dem Schluss gelangte ebenfalls die UNESCO, als sie im Jahr 2007 Graciosa zum Biosphärenreservat deklarierte.
Caldeira da Graciosa - unterwegs im Parque Florestal
Es ist nicht belegt, wann die Insel entdeckt wurde. Einige Quellen behaupten, Graciosa sei im Jahr 1450 von einem Bewohner der Nachbarinsel Terceira gefunden worden. Das passt vom Zeitrahmen her mit der Entdeckung der übrigen Inseln überein. Von Anfang an bis in die Gegenwart prägte die Landwirtschaft Graciosa. Vieh- und Landwirtschaft sicherten den Siedlern ein bescheidenes Auskommen. Im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lebten viele Einwohner vom Walfang und der Ziegelproduktion. Nachdem im Jahr 1982 das Abschlachten der Wale endgültig eingestellt wurde, die Ziegeleien gaben schon früher auf, blieben der Bevölkerung als Einnahmequellen die Milch- und die Viehwirtschaft. Die Milch wird auf der Insel hauptsächlich zu Käse verarbeitet. Die Landwirtschaft befasst sich mit dem Anbau von Mais und Weizen. In geringem Umfang werden Zuckerrohr und Wein erzeugt.

Graciosa - Mauern und Hecken trennen Wiesen und Felder

Graciosa - Blütenpracht am Wege
Typisch für die Insel: Weiden und Felder sind durch Mauern aus Lavasteinen oder Hortensienhecken getrennt. In der Gegenwart ruhen die Hoffnungen auf dem Tourismus. Graciosa besitzt seit 1981 einen Flughafen, und seit längerer Zeit bestehen Fährverbindungen zu den Nachbarinseln. Ab und zu besuchen kleine Expeditionsschiffe wie der WORLD VOYAGER Graciosa. Dem Schiff verdanken wir bleibende Erinnerungen an die landschaftlich schöne Insel.
Touristische Angebote
Graciosa ist ein Eldorado für Anhänger des sanften Tourismus. Trotz der gering erscheinenden Landfläche bietet Graciosa seinen Besuchern viel Raum für unterschiedliche Aktivitäten. Wanderer und Radfahrer schätzen die umfangreichen Routenangebote. Liebhaber der Wassersportarten entscheiden sich zwischen Tauchen, Surfen und Hochseefischerei. Tierliebhaber genießen Ausflüge zu den Vogelschutzinseln Ilhéu da Praia und Ilhéu de Baixo oder nehmen an Whale Watching-Touren teil. Zu den „must see“ zählt die 190 Meter lange Vulkanhöhle Furna do Enxofre. Und nahe gelegene Thermalquellen sorgen für bescheidene SPA-Angebote im Ort Carapacho. Wir, denen solche Aktivitäten im Verlauf eines Liegetags verwehrt sind, unternehmen eine Inselrundfahrt und genießen wunderbare Ausblicke von mehreren Miradoren, besuchen das Inselmuseum in Santa Cruz und die Caldeira mit der großen Lavahöhle.
Panoramatour über die Insel Graciosa
Der WORLD VOYAGER liegt im Hafen von Praia, das den Zusatz São Mateus trägt. Der Fischerort besteht aus einigen Dutzend Häusern und einem überschaubaren Sandstrand. Der Ort ist unspektakulär, wenn man von mehreren flämischen Windmühlen absieht, die in der Gegenwart als touristische Unterkünfte dienen.
Die 800-Seelen-Gemeinde Praia wird als eine der ältesten Ortschaften Graciosas bezeichnet. Ein überregionales Ansehen genießt die Gemeinde wegen der „Queijadas da Graciosa“ genannten Kuchen. Es versteht sich, dass wir auf unserer Inselrundfahrt die Bäckerei besuchen, die sich diesen Delikatessen widmet.

Praia - Queijadas-Bäckerei

Queijadas von Graciosa
Santa Cruz da Graciosa
Der Hauptort der Insel ist die ungefähr 1.800 Einwohner zählende, verschlafen wirkende Kleinstadt Santa Cruz da Graciosa. Bereits im Jahr 1486 wurde Santa Cruz zur Verwaltungseinheit der gesamten Insel ernannt. Diese Entscheidung gilt noch in der Gegenwart. In Santa Cruz‘ Nachbarschaft liegt der kleine Inselflughafen Aeródromo da Graciosa.
Besuchern des Ortes fällt als Erstes die im Zentrum gelegene Lagoa da Vila ins Auge. Sie besteht aus einer kleinen Parkanlage mit einem Pavillon und zwei Wasserbecken. Die Wasserbecken dienten einst der Versorgung der Einwohner mit Trinkwasser und als Viehtränke. Aktuell dienen sie ausschließlich der Optik. Bemerkenswert ist die Bausubstanz des Ortes. Bürgerhäuser wetteifern mit herrschaftlichen Bauten und zwei schönen Kirchen.
Sehenswerte Bauten
Das Inselmuseum Museu da Graciosa liegt wenige Schritte von der Lagoa da Vila entfernt. Das ethnografische Museum ist den Traditionen der Insel gewidmet und lädt zum Besuch der Langzeitausstellung und zu Wechselausstellungen ein. Es nutzt ein repräsentatives Gebäude, das ehemals der Lagerung von Getreide und der Produktion von Wein diente. Traditionelle Werkzeuge, Karren und Einrichtungsgegenstände legen Zeugnis vergangener Zeiten ab. Außerdem finden in den Räumen regelmäßig Konzerte, Vorträge und Theateraufführungen statt. Das Museum unterhält an anderen Orten der Insel themenbezogene Dependancen.

Museu Graciosa

Museu Graciosa - Getreidemühle
Ein markantes Bauwerk im Ortszentrum ist die Kirche Igreja Matriz. Das dreischiffige Gotteshaus entstammt dem 16. Jahrhundert. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde die Kirche erweitert. Außerdem wurde nachträglich ein Kirchturm errichtet. Bemerkenswert ist, dass die Kirche neben dem Hauptaltar zehn Seitenaltäre besitzt.
Etwas kleiner und deutlich schlichter fällt die Igreja da Misericórdia aus. Auch diese Kirche wurde im 16. Jahrhundert errichtet. An die Kirche schließt die ehemalige Klosteranlage Ermida de São Pedro an. Aktuell dient die Klosteranlage Wohnzwecken.

Igreja da Misericórdia

Igreja da Misericórdia - Kirchenschiff
Von der Klosterkirche Torre da Igreja de Nossa Senhora dos Anjos (Unserer Lieben Frau von den Engeln) blieb lediglich der großzügig mit Azulejos geschmückte Glockenturm erhalten.
Torre da Igreja de Nossa Senhora dos Anjos
Monte da Senhora da Ajuda
Oberhalb von Santa Cruz liegen auf dem Vulkankrater des Monte da Senhora da Ajuda (280 Meter über Seehöhe) die Ermida de Nossa Senhora da Ajuda und zwei weitere Kapellen. Es wird angenommen, dass die Einsiedelei im 16. Jahrhundert entstand. Von der Höhe öffnet sich der Blick auf den Atlantik, Santa Cruz und die umgebende Landschaft. Sehenswert ist bei guten Sichtverhältnissen auch der Blick auf die zehn Hektar große Ilhéu da Praia, ein Vogelschutzgebiet. Die Insel ist unter anderem die Heimstatt des endemischen Sturmwellenläufers, eines unscheinbaren Seevogels. Allein der Ausblick, den der Monte da Senhora da Ajuda bietet, ist den Besuch wert.
Unterhalb der Gotteshäuser liegt im Zentrum der kreisrunden Caldeira Santa Cruz‘ Stierkampfarena. Dort finden unblutige Stierkämpfe statt. Beim Bau der Arena wurde die Struktur des Geländes vorteilhaft genutzt.
Praça de Touros da Graciosa
Ponta und Farol da Barca
Unser nächstes Ziel ist im Nordwesten Graciosas die wilde Steilküste von Ponta da Barca. Dort steht seit dem Jahr 1930 der schwarz-weiß gebänderte Leuchtturm Farol da Barca. Seine Höhe wird auf 23 Meter beziffert. Er gilt als das höchste Leuchtfeuer der Azoren. Vor dem Turm liegt das Haus des Leuchtturmwärters. Der Standort bietet grandiose Ausblicke auf den Ozean und auf die in unmittelbarer Nähe gelegene, wie ein Wal geformte Ilhéu da Baleia, die „Walinsel“. Die Insel bietet Meeresvögeln, vor allem Sturmtauchern sichere Nistplätze.
Die Caldeira von Graciosa
Am südöstlichen Ende der Insel liegt die wie ein Oval geformte Caldeira. Die 1.600 mal 800 Meter messende grüne, baumbestandene Öffnung entstand durch den Einsturz zweier Krater. Die Tiefe beträgt 270 Meter. In der Caldeira wurde ein Picknickgelände, der Parque Florestal da Caldeira, angelegt. Das abgeschiedene und friedliche Areal bietet seinen Besuchern Bänke und Tische, einen Spielplatz, ein winziges Tiergehege und saubere Sanitäranlagen.

Freizeitareal in der Caldeira von Graciosa

Caldeira von Graciosa - Parque Florestal
Furna do Enxofre Caldeira – die Schwefelhöhle
Besuchern der Caldeira empfehlen wir, noch einen Umweg zur gigantischen Furna do Enxofre Caldeira zu machen. Vorbei an Bäumen und großen Farnen führt die Straße zu einem Haltepunkt. Von dort schlagen wir den abschüssigen Weg zum Besucherzentrum der Höhle ein. Der moderne Bau ist zugleich Sitz des Biosphärenreservats und Naturparks der Insel Graciosa.

Zuweg zur Furna do Enxofre

Furna do Enxofre - Besucherzentrum
Die beindruckende Höhle liegt weit unterhalb des Zentrums. Ein gepflegter Weg mit mehreren Treppen und danach ein in den Felsen gebauter Turm mit Aussichtsplattformen und 183 Treppenstufen ermöglichen den Zugang zu der Höhle. Bereits im Eingangsbereich der 40 bis 50 Meter hohen Grotte schlägt den Besuchern Schwefelgeruch entgegen. Wir finden, der gehört zu einer Lavahöhle wie das Amen zur Kirche. Der Schwefelgehalt der Luft wird automatisch überwacht. Steigt die Konzentration der Gase in der über 190 Meter langen Höhle über das Normalmaß, wird Alarm gegeben und der Zugang zur Höhle geschlossen. Ansonsten gilt, dass nur die obere Ebene der Höhle zur Besichtigung freigegeben ist. Absperrbänder lenken die Besucher. Zwei trichterförmige Schlote versorgen den Hohlraum mit etwas Licht.

Furna do Enxofre

Furna do Enxofre
Im unteren Teil der Höhle liegt der Lagoa do Styx, ein 15 Meter tiefer Kratersee. Benannt wurde er nach dem Fluss Styx, der in der griechischen Sage die Welt der Lebenden vom Totenreich Hades trennt. Dazu passt, dass der über 100 Meter lange See so lange mit einem Boot befahren wurde, bis zwei Männer an den giftigen Gasen der ihn umgebenden Schlammtöpfe starben.
Therme von Carapacho
Sieben Kilometer liegen zwischen der Höhle und der im Süden Graciosas gelegenen Therme von Carapacho. Direkt am Meer sprudeln dank vulkanischer Aktivitäten heiße Quellen aus dem Boden. Den vor 270 Jahren entdeckten Quellen wird Heilwirkung für Haut, Knochen und Gelenke oder die Verdauungsorgane zugesprochen. Unterhalb der Carapacho umgebenden Steilklippen wurde ein Kurhaus mit einem kleinen Hallenbad samt Wasserbecken, Saunen, Dampfbad und Hydromassage errichtet. Besucher halten sich maximal 30 Minuten im heißen Wasser auf. Härtetypen baden im kühlen Meerwasser in den Naturschwimmbecken unterhalb des weißen Kurhauses.

Lage der Thermen von Carapacho

Die Thermen von Carapacho
Leuchtturm der Ponta da Restinga
Oberhalb der Therme von Carapacho ragt in 191 Meter Höhe der Farol do Carapacho auf. Lagebeding wird er oftmals auch Farol da Restinga genannt. Wegen seines hohen Standorts ist das schmucklose, graue Leuchtfeuer gerade einmal 14 Meter hoch. Großartig ist im Vergleich dazu der Ausblick, den der Standort bietet. Der Blick fällt auf die wenigen Häuser von Carapacho und auf die neun Hektar große, unbewohnte Vogelschutzinsel Ilhéu de Baixo. Das Eiland ist der Rest eines erodierten Vulkankegels.
Mit dem Aufenthalt an der Ponta da Restinga schließen wir unsere siebenstündige Panoramatour über die Insel Graciosa ab. Entgegen der Namensgebung der Insel war nicht alles, was wir sahen „anmutig“. Die zerklüftete, meerumspülte Felsküste oder die Furna do Enxofre wirkten wenig anmutig. Lieblich dagegen empfanden wir Graciosas grüne Hänge, die mehr als 20 flämischen Windmühlen sowie die Inselhauptstadt Santa Cruz. Dank des sonnigen Tages genossen wir die herrlichen Ausblicke. Graciosa ist ein „Sahnestück“ unter den Azoren-Inseln. Es bleibt zu wünschen, dass es nicht unser letzter Besuch auf dieser schönen Insel war!
Juli 2021