Wir reisen mit dem Kreuzfahrtschiff WORLD VOYAGER von Lissabon nach Hamburg. Das Schiff besucht neben angesagten Zielen wie Porto, Amsterdam oder London eine Reihe weniger bekannter Destinationen. Einen Zwischenstopp legt das Schiff in der im Nordosten der Bretagne gelegenen Festungsstadt Saint-Malo ein. Besuche zumeist kleiner Kreuzfahrtschiffe sind äußerst selten.
WORLD VOYAGER vor Dinard
Dagegen verbinden regelmäßig Fährschiffe die Stadt mit den Kanalinseln Guernsey und Jersey sowie der englischen Hafenstadt Portsmouth. Die Fährschiffe nutzen Kaianlagen im Hafen; Kreuzfahrtschiffe liegen im Gegensatz dazu vor Saint-Malo auf Reede. Deren Passagiere verbringen den Aufenthalt in Saint-Malo oder besuchen die knapp 60 Kilometer entfernte normannische Felsinsel Le Mont-Saint-Michel mit der gleichnamigen Abtei. Beide Ausflugsziele sind gleichermaßen reizvoll. Wir entscheiden uns dafür, Saint-Malo auf eigene Faust zu entdecken.
Saint-Malo Tourisme beschreibt die Stadt vollmundig und treffend: „Saint-Malo besichtigen – das ist wie in einem Geschichtsbuch blättern; an jeder Ecke der befestigten Altstadt schlägt sich eine neue Seite auf: Stadtmauer, Denkmäler und Stadthäuser reicher Reeder, Forts und Bastionen … Von der Halbinsel der Cité d’Alet im Osten bis zum Strand von Le Havre im Westen bietet das Panorama der Bucht von Saint-Malo zahlreiche Möglichkeiten, die Zeugen der Vergangenheit zu betrachten …“
Rundgang auf Saint-Malos Festungsmauer
Wir starten unseren Besuch Saint-Malos mit einem Rundgang auf der 1.754 Meter langen Festungsmauer. In Saint-Malo wurde das aus heutiger Sicht zweifelhafte aber einträgliche Geschäft der Freibeuterei von Generation zu Generation weitergegeben. Fischer und Reeder mussten ebenfalls nicht darben. Der erwirtschaftete Wohlstand manifestierte sich in prächtigen Stadthäusern.
Saint-Malos Festungsmauer
Saint-Malo - Grand Rue
Solche Schätze weckten Begehrlichkeiten vor allem bei Engländern, deren Reeder häufig unter den Aktionen der Malouiner Korsaren litten. Es war zwingend erforderlich die Stadt zu befestigen. Schutz vor Angriffen boten die hoch aufragende Festungsmauer mit ihren Bastionen und dem Pulverturm, das Chateau sowie vier in der Bucht von Saint-Malo platzierte Außenforts.
Festungsstadt Saint-Malo mit der Môle des Noires
Die Forts der Bucht würden den Zeitrahmen eines eintägigen Aufenthalts sprengen. Ganz anders verhält es sich mit der Festungsmauer. Ein Tenderboot bringt uns von unserem Schiff zur Gare Maritime de la Bourse.
Tenderboot des WORLD VOYAGER
Saint-Malo - Gare Maritime de la Bourse
Von dort gehen wir wenige Hundert Meter mit Blick auf das Bassin Vauban zur Porte Saint-Louis, der nächstgelegenen Öffnung in der hoch aufragenden Festungsmauer. Am Weg steht die monumentale Statue de la Bourdonnais, die wir unter Saint-Malo Sehenswürdigkeiten vorstellen. Im Hafenbecken liegt – als Blickfang wie bestellt – die über 100 Jahre alte Bark Belem, ein Segelschiff für zahlende Gäste.
An der Porte Saint-Louis führt hinter der Festungsmauer eine Steintreppe hinauf auf die begehbare Mauer. Unser Weg führt vorbei an der Grand‘Porte zur Porte Saint-Vincent. Dort steht neben der Stadtmauer das Château, die im 15. und den folgenden Jahrhunderten errichtete und ausgebaute Burganlage. Vier niedrige Ecktürme und ein mehr als 30 Meter hoher, zentraler Rundturm kennzeichnen das Ensemble. Die Burganlage wird in der Gegenwart als Rathaus und zu musealen Zwecken genutzt. Weitere bemerkenswerte, zum Château zählende Festungsbauten sind der Rundturm Quic en Groigne, der Tour des Dames sowie das Château de la Duchesse Anne.
Vor der Burg liegt die von Bars, Restaurants und dem Hôtel France Chateaubriand gesäumte Place Chateaubriand. Eine Tafel am Hotel zeigt an, dass es sich bei dem stattlichen Haus um die Geburtsstätte des Schriftstellers, Politikers und Diplomaten François-René de Chateaubriand handelt.
Place Chateaubriand
Auf Höhe der Place Chateaubriand sind wir gezwungen, die Festungsmauer für einen kurzen Moment zu verlassen. Hinter dem Tour Quic en Groigne führt eine Treppe erneut auf die Mauer. Von oben blicken wir hinunter auf die Plage du Sillon und die Plage de l’Eventail. In einiger Entfernung liegt das Fort National. Es ist Ebbe, und es wäre für uns ein Leichtes, über den breiten Strand hinüber zum Fort zu gehen. Allein die Zeit reicht nicht für derartige Experimente; Kreuzfahrtschiffe warten nicht auf ihre trödelnden Passagiere.
Saint-Malo - Plage du Sillon
Fort National
Unser nächstes Ziel auf der „Les Remparts“ genannten Stadtmauer ist der ehemalige Pulverturm Bidouane. Von dessen Plattform genießen wir herrliche Ausblicke auf die Bucht von Saint-Malo, die Strände und die Festungsinseln. Einer besonderen Erwähnung bedarf die Insel Grand Bé. Die vorgelagerte Insel wurde ursprünglich – wie die Nachbarinseln – zu Verteidigungszwecken mit Kanonen und Mörsern bestückt. Im Zweiten Weltkrieg besetzte und nutzte die deutsche Wehrmacht Grand Bé. Bei alliierten Bombenangriffen und infolge Artilleriebeschuss wurden die Festungsanlagen nahezu vollständig zerstört. Auf der Insel wurde François-René de Chateaubriand auf eigenen Wunsch schmucklos begraben.
Bevor wir weitergehen, widmen wir uns der Statue des Korsaren Robert Surcouf. Freibeuterei lag im Wesen der Familie Surcouf. Zu hohem Ansehen brachte es vor allem Robert Surcouf. Kaperfahrten gegen Dutzende Handelsschiffe im Atlantik und im Indischen Ozean machten ihn zu einem reichen Mann. Es erscheint uns ungewohnt, dass dem organisierten Verbrechen ein Denkmal gesetzt wurde. In Saint-Malo war es der Fall. Allerdings waren die Zeiten und Wertmaßstäbe andere als heute.
Statue des Robert Surcouf
Wir verlassen das Korsaren-Denkmal. Unser Weg verläuft oberhalb der Plage de Bon-Secours mit dem historischen Meerwasser-Schwimmbecken. Wir passieren die Marineschule für Handelsschifffahrt und gelangen zur Bastion de La Hollande. Noch immer erinnern vier Kanonen an den Zweck des Bollwerks. Hinter den Kanonen ragt das Denkmal des Jacques Cartier auf. Der in der Nähe von Saint-Malo geborene Seefahrer erkundete in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts im Auftrag des französischen Königs den Sankt-Lorenz-Strom. Er nahm große Gebiete für die französische Krone in Besitz. Ihm verdankt die Welt die Bezeichnung „Kanada“. Sie beruht im Übrigen auf einer Fehlinterpretation der Irokesen-Sprache.
Auf die Bastion de La Hollande folgt die Bastion Saint-Philippe. Von dort oben genießen wir Ausblicke auf die gegenüberliegende Stadt Dinard, das „Nizza des Nordens“. Das erste Seebad Frankreichs zeichnet sich durch elegante Villen und Hotels aus. In Dinard verbrachten Saint-Malos wohlhabende Bürger die Sommerfrische in aufwendigen Landsitzen.
Bastion Saint Philippe
Dinard
Unterhalb der Bastion erstreckt sich die Esplanade Robert Surcouf. Von der gepflegten Anlage legen Fähren nach Dinard ab. Auf Höhe der Porte Dinan verlassen wir die Festungsmauer. Als nächstes erkunden wir auf eigene Faust den von den Mauern umschlossenen Altstadtbereich „Intra Muros“.
Esplanade Robert Surcouf
Intra Muros – unterwegs in Saint-Malos Altstadt
Unser Hauptziel innerhalb der Festungsmauern ist die Kathedrale Saint-Vincent. Folgt man der hinter der Porte Dinan beginnenden Rue de Dinan, später geht sie in die Rue Broussais über, ist die Kathedrale nicht zu verfehlen. Endlich sehen wir die vier- bis zu achtgeschossigen Bauten aus nächster Nähe. Die Wohn- und Geschäftshäuser sind das Ergebnis der über mehrere Jahrhunderte fortdauernden Bautätigkeit innerhalb der Festungsmauern.
Saint-Malo - Rue de Dinan
Rue Broussais
Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs wurde bei Luftangriffen anglo-amerikanischer Bomberverbände auf die in der Altstadt verschanzten deutschen Besatzer nahezu 85 Prozent der Bausubstanz zerstört. Die Stadtväter entschieden nach dem Krieg, die Stadt unter Verwendung alter Materialien originalgetreu wieder aufzubauen. Besucher glauben, sich in einer historischen Stadt aufzuhalten, auch wenn die Gebäude ihren ursprünglichen Zweck verloren haben.
Unser erster Eindruck: Saint Malos Straßen wirken eng und schattig. Die Angebote in den Ladengeschäften sind vielfach auf die Bedürfnisse der Touristen ausgerichtet. Andenkenläden wechseln sich mit Modegeschäften ab. Die Zeit der Korsaren liegt weit zurück; für jeden Bedarf ist gesorgt. Am Weg zur Kathedrale liegen außerdem Cafés, Bars und Restaurants.
Saint-Malo - Rue Broussais
Unter Saint-Malo Sehenswürdigkeiten beschreiben wir unsere Eindrücke, die wir beim Besuch der Kathedrale gewinnen. Es gelingt uns nur mit Mühe, die Kathedrale samt ihres Turms ins rechte Licht zu rücken. Auf der Suche nach dem geeigneten Aufnahmewinkel für ein Foto der Kathedrale kommen wir zur Rue Saint-Benoist und zur überraschend weitläufigen Place de Frères Lammenais. An der Rue Saint-Benoist öffnet sich der Blick zum Presbyterium der Kathedrale. In Anbetracht der für Intra Muros dominierenden schnörkellosen Architektur wirkt das Gebäude beinahe barock.
Wir blicken von ferne auf die Grand‘Porte und kommen schließlich zur Rue du Pélicot, einer erstmals im 15. Jahrhundert erwähnten Straße. Dort stehen wir unvermittelt vor dem zweistöckigen Haus der Dichter, dem „Maison Internationale des poètes et des écrivains“. Man sagt, Schiffszimmerleute erbauten das Haus aus Resten gestrandeter Schiffe. Holz und Glas bestimmen die Fassade. Das Bauwerk ist seit dem Jahr 1991 Begegnungsstätte internationaler Künstler, Literaten und Wissenschaftler.
Rue du Pélicot
Maison Internationale des poètes et des écrivains
Bei unserem Streifzug durch Intra Muros kommen wir zur Place du Marché aux Légumes. In einer einladenden Brasserie machen wir eine Rast. Danach passieren wir die nach dem Generalinspekteur der französischen Festungen, Claude Bidal d‘Asfeld benannte Rue d’Asfeld. Nahezu jedes Haus der Straße wird auf einer Informationstafel als geschichtsträchtig beschrieben. Intra Muros ist in Stein gehauene Geschichte.
Place du Marché aux Légumes
Rue d’Asfeld
Mit diesem letzten Eindruck kehren wir zurück zur Gare Maritime und fahren mit dem nächsten Tenderboot zurück zum WORLD VOYAGER. Von der Bastion Saint-Philippe sahen wir das Schiff vor der grünen Kulisse des Seebads Dinard im Mündungsgebiet des Flusses Rance liegen.
Villen an der Steilküste von Dinard
Fazit unseres Besuchs in Saint-Malo
Die Bretagne ist eine wunderschöne und ursprüngliche Ferienregion an der Westküste Frankreichs. Städte wie Rennes, Concarneau, Quimper und Vannes am Golf von Morbihan sind erlesene Regionen und Reiseziele. Ein Besuch der Bretagne gehört ins Pflichtenheft der Weltenbummler. Saint-Malo darf bei einem Besuch der Bretagne nicht fehlen. Die Stadt Saint-Malo lässt sich auf eigene Faust gut erkunden.
Juni 2022